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Beitrag vom 08.08.2022
Was, ihr schlaft in getrennten Zimmern? Habt ihr schon einen Scheidungstermin? So die Reaktionen meiner Mutter, als sie fragte, ob sie uns übers Wochenende besuchen kann. Das Kinderzimmer ist doch jetzt frei, da kann ich doch prima schlafen. Ähh, nein... da schläft Hans jetzt. Aber es läuft alles gut bei uns, keine Sorge. Es fühlt sich nach einem Outing an, ich fühle mich ertappt, wie früher, als ich heimlich geraucht habe. Ein grosses Fragezeichen steht bei meiner Mutter auf der Stirn geschrieben - sie ist eben sehr traditionell. Kind, du kannst mir immer alles erzählen.
Dabei gibt es nicht viel zu erzählen. Hans und ich sind harmonisch und auf Augenhöhe zusammen, glücklich und verliebt wie in den ersten Jahren. Es passt 100%ig - nur eben nicht bei Nacht. Da fehlt uns der Schlaf-Einklang.
Tagsüber ein Traum – nachts ein Alptraum
Er ist eine Frostbeule, eiskalte Füsse, und mach bloss das Fenster zu. Beim leisesten Luftzug schlägt es auf seine Nebenhöhlen und mir anschliessend aufs Trommelfell - es wird dann sehr geräuschvoll. Zikaden bei der Paarung, direkt neben meinem Kopf. Ich kämpfe im Stundentakt mit den Thermo-Waves, die mich von jetzt auf gleich in einen aktiven Vulkan verwandeln. Dann brauche ich dringend: frische Luft und eine kalte Decke oder am besten gar keine, oder erst mal nur wenden. Sommer oder Winter, egal.
Was ich nicht brauche, sind mitleidsvolle Nachfragen. Brauchst du was? Soll ich dir einen Tee machen? Ich kann dich auch massieren. Nein, bloss nicht. Ich will nichts und ich will nicht komplett wach werden. Ich will einfach nur meine Ruhe. Ich alleine im Kampf mit der Decke, und ein weitgeöffnetes Fenster wäre toll. So, jetzt sind nicht nur das Bettzeug, sondern auch wir beide aufgewühlt, an Wiedereinschlafen nicht zu denken.
Hans liebt es, mit TV einzuschlafen. Ganz egal, ob Fussball, Talk-Show oder Serie, Hauptsache es flimmert. Spätestens um 1 Uhr schrecke ich von quietschenden Reifen und Schüssen auf. Suche die Fernbedienung in allen Mulden und drücke auf AUS. Mein Herz rast mit 200 km/h und ich werde richtig sauer, man könnte auch kleiner Hass dazu sagen. Und die Zikaden paaren sich munter weiter.
Am nächsten Morgen fühlen wir uns beide wie von der U-Bahn überfahren. Ein Kaffee mit Keks im Stehen. Bis heute Abend, Schatz. Habe die schlimmsten Befürchtungen für die heutige Nacht - ich habe Mädels Abend und nach zwei Pro-Seco mutiere ich zur Zikade.
Let’s try
Ein Buch ist mein spezieller Liebhaber im
Bett. Ich kann dabei wunderbar runterkommen, mich vollends entspannen und dann die Fortsetzung träumen. Was stört, ist der TV und die Zikaden und das geschlossene Fenster.
Was ich nicht aufgeben möchte: das Kuscheln im Halbschlaf, die letzten Worte des Tages, ein zarter Kuss, die Decke, die er mir bis zu den Ohren zieht - obwohl ich schmelze vor Hitze - und sein niedliches Zucken kurz vorm Einschlafen. Aber dann gehts ab nach nebenan. So haben wir es abgesprochen. Es ist ein Experiment und wenn wir uns beide gut damit fühlen, dann ist es gelungen. Heimlich Verdrücken oder eine zornige Flucht ist für uns keine Option. Stimmt, dann gutes Nächtle.
Bett-Scheidung ohne Sex-Pause
Sex kommt nicht zu kurz, bloss weil man räumlich getrennt schläft. Wer sagt denn, dass dieser ausschliesslich im gemeinsamen
Bett stattfindet? Langweilig. Es gibt andere intime, romantische Plätzchen: die Dusche, das Sofa, der Küchentisch. Ausserdem kann ich Hans auch im ehemaligen Kinderzimmer überraschen, ihn verführen. Ortswechsel können sehr inspirierend sein, spannende Momente bescheren. Das ehemals gemeinsame Bett ist ja nicht abgebaut, nur eben nicht für jede Nacht.
Logisch betrachtet schlafen Menschen allein ruhiger als zu zweit. Wenn sich einer im Schlaf bewegt, dann bemerkt es der Partner bewusst oder unterbewusst. Tiefschlafphasen werden kürzer oder fallen ganz aus. Bei Schläfern mit Zikaden-Getöse wird dem anderen locker eine Stunde Schlaf pro Nacht geraubt. Bekanntlich schlägt dies auf die Gesundheit, Laune und auf die Konzentration. Laut einer Studie haben Paare mit nicht harmonisiertem Schlaf in einem Bett: mehr Konflikt-Potenzial, weniger tiefgehende Gespräche, unternehmen weniger gemeinsam und haben weniger Sex.
Intimität kennt keine Patentlösung
Wenn Paare im Schlafritual, im Bewegungsdrang, Temperaturempfinden oder im Frischluft-Bedarf nicht zusammenpassen, gibt es auch softe Möglichkeiten, die das Zusammenschlafen verbessern. Getrennte Decken, Matratzen mit unterschiedlichem Härtegrad, Kopfhörer für den TV und ja, auch Oropax, alles ein Versuch wert. Nur wie einigt man sich bei Fenster offen, auf Kipp oder zu? Und nicht jeder hat ein freies Kinderzimmer.
Die individuelle Lebenssituation spielt eine grosse Rolle. Wenn eine Nachteule mit einem Frühaufsteher zusammenlebt, bei Paaren im Schichtdienst, mit unterschiedlichen Arbeitszeiten oder beengter Wohnung, kann ein getrenntes Bett ein Segen sein.
Offene Gespräche und eine von beiden getragene Entscheidung ist das A und O. Wird die nächtliche Trennung einsam, also einseitig bestimmt oder noch schwieriger, wird sie als Alibi gebraucht, da man sich auch schon innerlich vom Partner entfernt hat, dann steckt die
Beziehung in einer echten
Krise. Gründe dafür gibt es viele und sicherlich viel komplexer als der Paarungsgesang von Zikaden.
Unausgesprochen können sich also die Probleme vom Tag durch die Bettentrennung noch verschärfen. Das ist dann wirklich der Anfang vom Ende. Daran sollte gearbeitet werden, ansonsten hat Mutter am Ende recht gehabt.
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