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Männerfreundschaft

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Männerfreundschaft

Eine aussergewöhnliche Männerfreundschaft, denen es gelingt, Generationen und Kulturen zu verbinden.

Einst unbeschwert als Lusbuaba in Chur (Dialekt) gross geworden, erleben sie in all den Jahren die Sonnen- und Schattenseiten ihres Lebens. Die Leser werden auf der einen Seite in die pure Lebensfreude der Schweizer Männer entführt, auf der anderen Seite in mitreissende Szenen hineingeführt, die voll von Gefühlen sind, ohne dass sie sich darin verlieren. Die Geschichte beschreibt auch den bewussten Umgang beider Freunde mit dem Tod und dass der positive Umgang mit ihm auch Chancen bieten kann.

In dieser Geschichte möchte auch erreicht werden, dass den Freundschaften unter Männern mehr Gehör und Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Autorin Syrid-Marlen

Sommerferien

Die grossen Sommerferien für Klein und Gross beginnen morgen und eine weitere neue Generation geniesst die magische und erlebnisreiche Zeit des Jahres. Fast unbemerkt wächst sie am eigenen Alltag heran.

Eigene Erinnerungen werden wach und ich riskier gern einen verheissungsvollen Blick in meine Vergangenheit. So sehr sehnte ich als Lusbuab (Churer Dialekt) die für mich schönste Jahreszeit herbei. In den Ferien wurde jeder Tag zu einer farbigen Oase und die Magie der Wochen zur grenzenlosen Freiheit, die von Kopf bis Fuss zu spüren war. Die Erde drehte sich nur für uns Kinder und zerschundene Hosen und Knie gehörten dazu. Mit dem Beginn der Ferien gab es keine Hausaufgaben am Nachmittag und die Lehrer erholten sich von unseren Streichen.

Jung und wild erstürmten wir, mein bester Freund Paul und ich dann die Sportanlagen und die Berge, die unsere schöne alte Stadt Chur umgeben. Für uns war kein Baum und kein Ast zu hoch und der Kirschbaum des Bauern nicht weit genug vom Zaun entfernt. Wenn es die Sonne zu gut mit uns meinte, ging es mit den Rädern raus ans Wasser und wir verbrachten dort unsere sorglosen Stunden. Selbst die Zeiger meiner Uhr drehten ihre Runden langsamer, so sehr wurden wir von der Ferienzeit eingenommen und wir nutzten jede Gelegenheit, die umliegende Welt zu erobern.

Auf der Alm

Abenteuerlich war für uns das Hüten der Ziegen oben auf der Alm. Immer, wenn wir durften, ging es hoch zu Onkel Jakob, der uns das Leben eines Ziegenhirten näherbrachte. Die Eigenwilligkeiten seiner Geissen liebten wir mindesten genauso wie den frischen Käse von der Alm. Die grösste Freude gab es, wenn die Ziegen wieder abgehauen waren und die Jagd zum Einfangen eröffnet wurde. Tante Anna hat immer behauptet, dass die "Dickfelligkeit" der Ziegen und ihre Streiche daran schuld seien, dass Onkel Jakob eine Glatze hatte. Paul und ich waren uns einig, keine Ziegenhirten zu werden, auch dann nicht, wenn wir den Käse im Geschäft kaufen müssten.

An den Abenden wurden wir oft mit einem Lagerfeuer und vielen selbst gemachten Leckereien belohnt. Nebenbei gab es mystische Geschichten von Onkel Jakob zu hören, bis unsere Ohren genauso in der Dunkelheit glühten wie die der Glühwürmchen. So spannend und unheimlich zugleich waren die Geschichten, die sich in den Bergen einst zugetragen haben sollen. Wenn wir dann noch nicht müde genug vom Tag waren, erzählten wir uns bis in die Nacht hinein eigene Spukgeschichten, bis wir friedlich im Heu eingeschlafen sind. Wann immer wir wollten, sind wir vollbepackt mit Käse und Milch glücklich ins Tal abgestiegen. Wir lebten in einer Zeit, in der wir glaubten, dass dies immer so bleiben werde und Indianerspiele die Welt bedeuteten.

Jugendzeit

Mit der Jugendzeit eroberten wir den Sommer neu und entdeckten den Mann in uns, der neben den jungen Mädchen auch erobert werden wollte. Diese Jahre verbrachte ich auch mit Paul. Wir nutzten jede freie Minute für gemeinsame Aktionen und tauschten stundenlang unsere Gedanken über unser Erlebtes aus. Unterstützten uns, wo auch immer es ging, und entdeckten auch äusserlich den heranwachsenden Mann an uns. Wir waren voller Tatendrang und liebten unser Dasein. Hier kam mir nicht der Gedanke, dass das Leben selbst über den Werdegang einer so innigen Freundschaft wie unsere mit bestimmen wird.

Heute weiss ich, dass das Leben viel mehr bietet und viele kleine Puzzlesteine parat hält. Und erst dann zu einem Bild wird, wenn die Realität für uns nah genug ist und die eigene Sicht darauf fällt. Im Alter von siebzehn Jahren habe ich mir noch keine tieferen Fragen über mein Leben gestellt. Für mich zählte nur der Augenblick. Meine geliebte Oma machte mir diese unbeschwerte Zeit möglich, die mich mit ihrer Liebe vor allen "Gefahren" zu schützen verstand. Und wenn ich wieder einmal mit meiner Entdeckerfreude meine Oma zur Verzweiflung brachte, dann nahm ich sie lachend in meine Arme, hob sie hoch und herzte sie. So sehr liebte ich meine Oma. Sie füllte meine Kinder- und Jugendtage mit ihrer Liebe, Grosszügigkeit und Weitsicht. Meine Welt war perfekt und das Leben meinte es gut mit mir und Paul.

Wir wurden scherzend das Freundespaar der Superlative genannt und die Mädchen liebten den doppelten Charme, der von uns ausging. Und wenn einer von uns im Liebeskummer versank, ertränkten wir ihn brüderlich mit Tequila. Nicht selten steckten wir dann unsere schmerzenden Köpfe in die Tränke, um sie im Wasser abzukühlen.

Wir gegen den Rest der Welt, so der Schwur von einst.

Band der Freundschaft

Doch die Kälte der Wintertage zeigte auch die rauen Seiten des Jahres bereits symbolisch an und ergriff wie eine kühle Hand das Band unserer Freundschaft. Fast unmerklich veränderte sich die Beziehung zwischen uns Lusbuaba mit den Jahren. Wir fanden nicht mehr die gleiche Sprache und die Interessen gingen auch mehr und mehr auseinander. Während ich mich für die technische Seite interessierte und eine Lehre als Elektriker begann, ging Paul ins Ausland, um Mikrobiologie zu studieren. Der Gedanke, Paul schämte sich für mich, kam mir dabei oft, schliesslich bewegte er sich mit dem Studium in einem neuen Bereich. Getrennt voneinander lernten wir neue Leute kennen und der Lebensinhalt veränderte sich mit uns.

Der gemeinsame Weg, der für unsere Freundschaft einst die Welt bedeutete, sollte mit dem Beginn meiner Ausbildung für Jahre auseinandergehen. Hier wusste ich noch nicht, dass unsere Freundschaft aus Kinder- und Jugendtagen über unsere nachfolgende Generation mitentscheiden würde. Dass unsere Freundschaft eine noch tiefere Bedeutung bereithielt. Denn viel zu sehr war ich in der Situation gefangen und spürte die Entfernung unserer Freundschaft schmerzlich. Dazu kam, dass Paul schon während des Studiums an Exkursionen teilnahm und sein Zimmer gegen eine einfache Unterkunft in der Nähe des atlantischen Regenwaldes eintauschte. Ausgelacht habe ich ihn und einen Narren genannt. Später bereute ich mein Verhalten, denn Paul hielt an seiner fixen Idee fest und kam immer weniger an den Ort seiner Wurzeln zurück. Er eroberte seine eigene Welt, weit entfernt von meiner.

So beschränkte sich unser Kontakt nicht selten auf das Telefon und auf die Post. Begeisternd berichtete Paul dann über die Vielzahl der Tiere im Regenwald und über die heimischen Pflanzen und deren Wirkungen. Er sprach über die Lebensfreude der Menschen, über ihre besondere kulturelle Lebensweise und von ihrem Zusammenhalt. Ich begann mich immer mehr für das Land und die Menschen in der Ferne zu interessieren.

Dann brach der Kontakt zu Paul plötzlich ab.

Mein Leben ohne Paul

In den folgenden Wochen bin ich jeden Tag nach der Arbeit bei seinen Eltern gewesen, in der Hoffnung, Neues zu erfahren, aber all unsere Bemühungen gingen ins Leere. Paul hat seine letzte Fahrt nach Brasilien privat gebucht. Der Studienkollege, mit dem Paul ein Zimmer teilte, wusste, dass er während der Aufenthalte in Brasilien eine Frau kennengelernt hatte. Mehr Informationen bekamen wir nicht und es blieb ruhig um Paul. Er meldete sich weder bei seinen Eltern noch bei mir.

Viele Stunden sind Pauls Eltern und ich zusammen gewesen und sind näher zusammengerückt, um uns gegenseitig Mut zu machen. Ich sah die dunklen Ränder unter ihren Augen, wenn ich sie in meine Arme zum Trösten und Stützen nahm. In diesen Situationen versuchte ich wie ein Fels in der Brandung stark zu bleiben, obwohl in mir ein Kampf tobte, den ich nächtelang im Alkohol ertränkte. In den Wochen und Monaten lernte ich auf meine Weise zu beten und stellte am Abend eine Kerze ans Fenster. Mit der Bitte, dass der Wind mein Gebet zu Paul tragen würde. So sehr hing ich an meinem Glauben fest, dass wir uns wiedersehen würden. Indessen ging mein Leben ohne Paul weiter.

Blaumann gegen Businessanzug

In den folgenden Jahren tauschte ich meinen Blaumann gegen einen Businessanzug ein und eroberte schrittweise die Geschäftswelt. Ich nutzte die Abende für Weiterbildungen und kämpfte mich in der Filiale an den vorgegebenen Umsatzzahlen nach oben. Übernahm die Filiale als Leiter, lernte meine grosse Liebe Astrid kennen und wir zogen zusammen in eine wunderschöne Wohnung am Hang in Chur. Neben meiner grossen Liebe widmete ich mich hauptsächlich der Karriere und lernte das Geld schätzen. Das täuschte natürlich nicht darüber hinweg, dass es oft einen Spagat brauchte, um meine Wertvorstellungen zwischen Beruf und Freizeit unter einen Hut zu bringen. Und ich lernte in diesen Jahren auch, dass es mehr als nur Mut braucht, um beiden Seiten gerecht zu werden. Es braucht auch viel Glück und das Wissen, ein kleiner Teil vom Ganzen zu sein. Ich habe dieses Glück gehabt und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit der Zeit eignete ich mir ein gesellschaftsfähiges Lächeln an, das mir die Umwelt auf sympathische Art bis in die Gegenwart hinein dankt.

Die eigene Rolle scheint entscheidend zu sein, das zeigte sich auch in meiner Filiale. Viele Neueinsteiger wollten meinen Platz einnehmen und vom grossen "Kuchen" mitnaschen. Sie taten es mir gleich, denn auch ich wollte vom ersten Tag an so sein wie mein Chef. Als erfolgreicher Geschäftsmann heiratete ich meine grosse Liebe im engsten Familienkreis und Pauls Eltern gehörten zu meiner und Astrids Familie dazu. Jeden Tag neu hat mich Astrid mit ihrem gewinnenden Lachen eingefangen und wir genossen jede freie Minute zusammen. Und das grösste Geschenk haben wir mit der Geburt unserer Tochter Franzi erfahren. Ihre kleinen Finger zu berühren, den feinen Duft ihrer zarten Haut wahrzunehmen und dabei in ihre schönen grünen Augen zu sehen, war das Paradies für mich.

Und dann kam der Anruf von Pauls Mutter!

Paul wieder zu Hause

Ich war gerade in einer Besprechung und verliess den Raum. Aufgeregt teilte sie mir mit, dass Paul am Vorabend nach Hause gekommen sei. Ich versuchte mich dabei zu konzentrieren und wiederholte wie ein Echo jedes ihrer Worte. Mein Herzschlag war synchron mit den Glockenschlägen der Kirchenuhr. Es schlug zwölf Uhr Mittag und Paul war seit gestern Abend wieder zu Hause. Ich hörte noch die Einladung für das gemeinsame Essen am kommenden Sonntag, zu dem Astrid und ich herzlich eingeladen wurden, und den Satz, dass Paul noch Ruhe brauche, um sich von den Strapazen zu erholen. Und dann unterbrach Pauls Mutter die Verbindung.

Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und blieb wie angewurzelt im Sessel sitzen. Immer wieder ging ich das Telefongespräch durch, in dem mich das Leben aufs Neue überraschen wollte. Paul war wieder zu Hause! Ich weiss nicht, wie oft ich den Satz wiederholte. Auch wenn ich seiner Mutter ruhig zuhörte, purzelte es in mir nur so. Die Nachricht hat in mir einen Hurrikan ausgelöst.

Am liebsten wäre ich gleich losgefahren, so sehr freute ich mich, Paul wiederzusehen, und ich bedankte mich leise beim Wind, der meine Gebete weitertrug. Augenblicklich war die Vergangenheit wieder gegenwärtig und vergessene Erinnerungen wurden geweckt. In meinem Herzen habe ich Paul über die ganzen Jahre getragen, der stets der Klügere von uns beiden war. Der lebenslustige Junge, der auf jede Frage eine Antwort wusste und für mich der grosse Bruder gewesen ist. Zu Paul konnte ich immer aufsehen und dafür verteidigte ich unsere Freundschaft mit meinen festen Fäusten.

Und dann war endlich Sonntag!

Nur noch wenige Stunden trennten mich von Paul. Nervös stand ich vor dem Spiegel in unserem Bad. Ich sah mein angespanntes Gesicht und versuchte meine Aufregung unter Kontrolle zu bekommen. Mein Herz war überall im Raum zu spüren, so heftig pulsierte mein Puls. Tausend Gedanken wirbelten hin und her und hatten mich voll im Griff. Würde ich Paul wiedererkennen und würde unsere Freundschaft weiter bestehen?

Ich habe in der Situation so viele Fragen gehabt und auch etwas Furcht dabei gespürt. Der Duft von selbst gebackenem Kuchen strömte in meine Nase, während ich mich zu rasieren begann. Astrid hatte ein leckeres Dessert aus Nüssen, Honig und anderen feinen Zutaten vorbereitet und wollte mit einem schönen, bunten Blumenstrauss überraschen. Sie kannte Paul nur von Erzählungen und Bildern und war mindestens genauso aufgeregt wie ich.

Bewusst verschwieg ich ihr zu der Zeit, dass ich Pauls Vater einen Tag vorher in der Kirche getroffen hatte. Unter Tränen hatte er mir erzählt, dass ihr Sohn ein zweites Mal von ihnen gehen würde und dieses Mal für immer. Ich war wie gelähmt und konnte es nicht fassen, dass das Leben solche Wege mir zeigte. Umso mehr war es für mich wichtig, meinen Freund nach Jahren wieder in meine Arme zu schliessen, zudem die sommerlichen Temperaturen uns freundlich eingeladen haben. Und dann war der Moment da. Herzlich öffnete Pauls Vater uns die Tür und nahm unsere kleine Franzi in seine Arme.

Reise nach Italien

Einen Monat später begleitete ich meinen Freund Paul nach Italien. An einen Ort, der schon rein von der Gegend sehr spannend ist und meine weitere Entwicklung stark beeinflusste. Im Herzen Venetiens zu Füssen der Euganeischen Hügel. Abano Terme, ein kleiner Ort, der durch seine Bäder berühmt wurde und mit seinem ehrwürdigen Kloster San Marco für mich heute noch punktet. Paul wollte einen Mönch besuchen, den er seit Brasilien kannte. Im Kloster erhoffte sich Paul die Ruhe und Hilfe, die seine Sicht für den Übergang weiter öffnen sollte.

Paul hatte sich während der Jahre viel mit der Lehre von Leben und Tod beschäftigt. Unser beider Wissen darüber, dass Paul das kommende Jahr vielleicht nicht mehr überleben würde, machte uns für die Inhalte der gemeinsamen Gespräche und Stunden sensibler. Ich war sehr gern mit Paul zusammen und war mir nie sicher, wer wen mehr brauchte. Die Gespräche über Gott und die Welt waren so tief und kamen mir damals vor, als ob Paul noch eine Mission zu erfüllen hätte und aus diesem Grund noch einmal heimgekommen war. So viel lernte ich von ihm. Er bat mich, nicht den Fehler zu machen und zu glauben, dass die Natur des Geistes sich ausschliesslich auf meinen eigenen Geist beziehe.

Vielmehr sei er die Natur von allem. Und dass mir mein Leben eine Möglichkeit biete, mich so zu entwickeln, um die Wahrheit zu erkennen, die am Rand meines Weges zu finden sei. Diese Worte klangen für mich zu der Zeit wie nicht von dieser Welt. Paul musste weitab von Trubel und Lärm viel über das Leben gesehen und erfahren haben. Ein Blick zur Seite zeigte mir sein friedliches Gesicht. Er genoss die Fahrt, die nur noch zwei Stunden bis zu unserem Zielort dauern sollte.

Ort der Begegnung

Als wir an dem Ort der Begegnung ankamen, offenbarte uns die Gegend um das Kloster eine Sicht, die in jeder Sprache gleich verstanden wird. Naturzauber. Von ihr ging eine stimmungsvolle Fülle aus, die es verstand, die natürliche Schönheit des Lebens zusammenzufassen. Und dann kam der Moment, an dem die Mauern des Klosters uns ehrwürdig begrüssten und wir Schritt für Schritt den Ort eroberten. Für einen Moment hielt ich meinen Atem an und nahm die Impressionen auf. Ich war begeistert von der Reinheit der Erde, die sich hier zeigte. Vor allem die stimmungsvolle Poesie der vielen kleinen, selbst gefertigten Dinge hat den Ort in seiner andächtigen Stille noch mehr in seine magische Umgebung gehüllt. Und der würzig duftende Geschmack der Erde erinnerte mich an den Nusskuchen meiner Oma und an Weihrauch.

Uns wurde genügend Zeit gegeben, um für das Erste anzukommen, und wir wurden circa eine Stunde später von drei freundlichen Mönchen herzlich begrüsst. Sie zeigten uns die Zimmer und ich freute mich, dass für Paul extra Vorbereitungen getroffen worden waren. Ein Mönch fragte mich, ob die Fahrt auch so gut gewesen sei, wie sie es für uns wünschten. So eine wertschätzende Begrüssung hatte ich nicht erwartet. Sie wussten, dass ich wegen Paul mitgekommen war, und wollten während des Aufenthaltes im Kloster auch auf meine Wünsche eingehen. In den drei Wochen erfuhr ich noch sehr viele Details aus den letzten Jahren von Paul. Von seiner besonderen Lebensweise und den Erfahrungen in Brasilien.

Paul sprach über seine tiefe Liebe zu Adriana, die mit ihren glutdunklen Augen und ihrem heissen Temperament das Feuer entfachen konnte. Von ihrer Familie und der Hochzeit mit Adriana, zu der das ganze Dorf eingeladen war. Von der Geburt des gemeinsamen Sohnes Lucas, der alles auf den Kopf stellte und ihr Glück so liebevoll abzurunden verstand. Paul zeigte mir auch die Schattenseite seines Lebens auf. Das Busunglück, dass seine Adriana nicht überlebte, und die folgenden dunklen Monate, in denen Wut und Zorn Pauls Herz bestimmten. Paul sprach auch über die Einsamkeit, die er für sich wählte, und von den ersten Begegnungen mit dem Mönch, der ihn stets freundlich und geduldig sowie eindringlich an die Aufgaben seines Lebens erinnerte.

Sommerwind

Die Wochen verflogen im Kloster wie ein Sommerwind und ich begann die Tage mit einem stillen Gebet. Ich spürte, wie viel bewusster ich meine Umgebung wahrnahm und eine neue Art der Ruhe von mir ausging. Die letzten Tage verbrachte ich mit den Mönchen noch enger und lernte so ihren Alltag im Kloster kennen, während ich kleine Arbeiten übernahm. Mein technisches und handwerkliches Geschick erfreute so manche kaputte Lampe und Tür.

Nebenbei erhielt ich Antworten auf Fragen, die ich nicht stellte, und auch Paul schien es immer besser zu gehen. Seine Augen bekamen einen friedlichen Ausdruck und seine Bewegungen wurden voller Mitgefühl für sich selbst. Ich bin meinem Leben so dankbar, dass ich als sein Freund diese Veränderung so nah miterleben durfte, die auch mein Leben verändern sollte. Und dann kam der letzte Abend, den wir im grossen Hof des Klosters gemeinsam verbrachten. Der Tisch wurde von uns festlich gedeckt und das gemeinsame Essen zu einem Gedicht.

Heimreise

Mich bezauberte diese Stimmung und die Abendsonne zeigte sich kristallen vor meinen Augen, mit dem Wissen, dass meine Seele ihren Ort gefunden hat. Am nächsten Morgen machten wir uns wieder auf den Heimweg und Paul schlief auch auf dem Rückweg immer wieder neben mir ein. Zufrieden und um viele neue Eindrücke reicher, fuhr ich uns sicher nach Hause und wir kamen am frühen Abend in Chur an. Natürlich freute ich mich riesig auf meine beiden Frauen. Astrid hielt meinen vielen Küssen stand und ich spürte ihren Körper in meinen Armen. Dann wurden die vielen kleinen Geschenke für Franzi ausgepackt, die mit der Sonne um die Wette lachte und von meinen Knien nicht mehr runter wollte. Ich freute mich auch auf Pauls Eltern, die sich während unseres Aufenthalts im Kloster rührend um den kleinen Lucas gekümmert hatten. Astrid hatte sie tatkräftig unterstützt, wann immer es ihre Zeit zugelassen hatte.

Glückliche Stunden

Paul starb. Dankbar und liebend zugleich hat er sich von seinem Leben und uns verabschiedet. Er hat seinen inneren Frieden in vielen Stunden der Meditation gefunden.

Doch nutzten wir als Familie viele gemeinsame Aktivitäten, die uns zusätzlich stärkten. Wir besuchten viele Plätze, die wir bereits als Kinder und Jugendliche für uns erobert hatten. Nur mit dem Unterschied, dass wir unsere Lieben darin einbezogen haben und so an unserer innigen Freundschaft teilhaben liessen. Es gab keine Geheimnisse mehr. Alt und Jung tauschten ihr Leben untereinander aus und wir hielten so manches Mal unsere Bäuche vor Lachen. Drei Generationen lernten sich neu kennen und rückten enger zusammen.

Wir haben selige Momente erfahren und waren so glücklich in den Stunden. Doch dann kam der Augenblick, an dem Paul friedlich in seinem Sessel einschlief. Seine Eltern und ich standen neben ihm und ich hielt in Demut seine Hand. Der Raum begann sich zu verändern und nahm eine Stimmung an, die sich als Liebe beschreiben lässt. Mein ganzer Körper fing an zu vibrieren und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich sah in seine Richtung. Sein Blick ging zu den Bergen, die er so liebte, und ich freute mich darüber, dass Paul den Abschied für sich so wählte. Denn ich wusste, dass die wunderschöne Berglandschaft um Chur Paul in schweren Stunden geholfen hat.

Die kleinen und grossen Wunder

Heute weiss ich, dass er mit seinem Leben unseres mit besiegelte. Wir wurden durch ihn sehr reich beschenkt und haben so manches kleine und grosse Wunder für uns erfahren dürfen. In den folgenden Jahren brauchte ich Abstand von manchen Situationen, weil sie mit meinem Verstand allein nicht zu bewältigen gewesen wären. So bestimmte der Wunsch nach innerem Frieden jede Phase meines weiteren Lebens.

Und immer wenn es mir die Zeit erlaubte, tauchte ich dann in die Welt der Kinder ein, um für die kleineren Schritte wieder empfänglich zu werden. Mit dem Versuch, das Leben mit meinen eigenen Augen wieder zu sehen und wie ein Kind staunen zu können. Wenn unsere Kinder draussen herumtollten, sass ich oft in ihrem Zimmer, von dem eine besondere Atmosphäre ausging. Hier konnte ich auf natürliche Art zur Ruhe kommen und stellte mir vor, von Engeln und Freunden umgeben zu sein. In diesen besonderen Momenten hatte ich oft das Gefühl, dass mein Freund mir ganz nah war und jeden Gedanken von mir kannte. So, wie ich in Lucas viele Eigenschaften von ihm sehe.

Lucas und Franzi

Wir holten Lucas zu uns und erfüllten mit seiner Adoption Pauls letzten Wunsch. Die anfänglichen kleinen Hürden hat er als Lusbuab mit uns zusammengenommen. Sein herzliches Wesen und sein südliches Temperament verstehen es, so manche Tür zu öffnen. Vor allem Franzi schätzte von klein auf die Rolle der Schwester und lässt sich auch heute noch sehr gerne von ihrem grossen Bruder verwöhnen. Zusammen sind sie wie ein Fels in der Brandung und machen es Paul und mir nach. Ihre Geschwisterliebe ist so fein und wärmt unsere älter gewordenen Herzen.

Natürlich besuchten wir die Grosseltern von Lucas, so oft es unsere Zeit zuliess. Unsere Besuche entwickelten sich jedes Mal zu einem Festival der Familie, an dem das ganze Dorf teilnahm. In diesem Jahr wollen Lucas und Franzi allein nach Brasilien fliegen und sind, wie wir auch, schon ganz aufgeregt deswegen. Unsere kleine Familie ist in den Jahren immer grösser geworden. Neben den Grosseltern in Brasilien und in der Schweiz sind wir von Freunden umgeben, die unser Leben weiter beschenken.

Gemeinsam habe ich mit Astrid die kleinen und grösseren Herausforderungen angenommen und unserem Leben vertraut. Nicht zuletzt durch Paul, der genau wusste, dass wir in seinem Sinne und dem seiner Adriana Lucas auf das grosse abenteuerliche Leben vorbereiten werden. Dafür legen sie ihre Hände schützend über uns. Die Kinder haben sich prächtig entwickelt und sind flügge geworden. Im kommenden Jahr beginnt für Lucas ein neuer Lebensabschnitt. Er wird wie sein Vater Biologe und will später das Land seiner Vorfahren besser kennenlernen und Franzi will ihrem grossen Bruder folgen.

Wie unsere Kinder in den Jahren älter und erwachsener wurden, sind wir Eltern dies auch. Nur meine Liebe zu Astrid ist unverändert jung. Ihr Lachen und ihre Augen sind es, die selig geblieben sind und so die Rhythmen unserer Liebe und den Mann in mir weiter mitbestimmen. Vielleicht hat sich die Geschichte in einem Abstand von tausenden Kilometern in einer ähnlichen Form abgespielt oder wurde früher schon einmal so erlebt.

Ein freundliches Lächeln kann der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, die Wege verbinden.
Herzlichst, Leo

(Autorin Syrid-Marlen, Veröffentlicht)

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